Zugängliche Rechtsforschung? Reflexionen zur Positionierung rechtssoziologischer Forschung zwischen Anwendungsorientierung und wissenschaftlicher Exzellenz
Eröffnungsvortrag zum fünften Kongress der deutschsprachigen Rechtssoziologie-Vereinigungen „Zugänge zum Recht – zugängliche Rechte?“, Universität Innsbruck, 21. September 2023
Schlagwörter:
sociology of law, interdisciplinary research on law and society, accessibility of research on law and society, non-scientific practice, science-to-practice transfer, translational researchAbstract
Ein Kongress zum thematischen Schwerpunkt „Zugänge zum Recht – zugängliche Rechte?“ sollte sich diesem Thema auch selbstreflexiv stellen und nach der Zugänglichkeit rechtssoziologischer Forschung außerhalb der engen wissenschaftlichen Diskursfelder fragen. Im Zentrum des Eröffnungsvortrags zum fünften Kongress der deutschsprachigen Rechtssoziologie-Vereinigungen steht deshalb die Frage nach dem Verhältnis der Rechtssoziologie bzw. interdisziplinären Rechtsforschung zur sogenannten Praxis, also zu relevanten Umwelten außerhalb des Wissenschaftssystems. Ausgehend von der Beobachtung, dass auch Wissenschaft in Zeiten großer gesellschaftlicher Umbrüche ihre Positionierung in der Gesellschaft neu ausloten muss, wird in einer ersten Annäherung nach dem Zusammenhang zwischen wissenschaftlicher Funktion und Leistung gefragt. Faktisch wird dieser Zusammenhang wissenschaftsintern oft als Spannungsverhältnis beobachtet und in eine Differenz zwischen Grundlagen- und anwendungsorientierte Forschung gebracht – mit häufig wenig Austausch zwischen den beiden Forschungsorientierungen. In einem zweiten Schritt soll nach den Herausforderungen des Forschens mit starkem Praxisbezug gefragt werden. Das Konzept der Grenzstellenarbeit bietet erkenntnisreiche Anregungen dafür, wie der Erhalt wissenschaftlicher Autonomie bzw. Grenzziehung bei gleichzeitig großer Umweltoffenheit wahrscheinlicher wird. In einem dritten Schritt gilt es danach zu fragen, welche Formen es konkret annehmen kann, wenn Wissenschaft und Praxis miteinander in Austausch treten oder gar kooperieren, und welche intermediären Begegnungs- und Kommunikationsformate hierfür gewinnbringend erscheinen. Abschließend steht die Einladung zu einer Perspektivenverschiebung: weg von der Beobachtung unzureichender Rezeption rechtssoziologischer Forschung durch die Praxis hin zur proaktiven Gestaltung der Schnittstellen zur und Zusammenarbeit mit der sogenannten Praxis – im Sinne einer translationalen Forschungshaltung.